Rückblick auf die 44. Legislaturperiode |
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7. Öffentliche Finanzen
91.079 |
Finanzordnung. Ersatz |
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Régime financier.
Remplacement |
Botschaft: 18.12.1992 (BBl 1992 I, 785 / FF 1992 I, 781)
Ausgangslage
Die Kompetenz des Bundes zur Erhebung der Warenumsatzsteuer
und der direkten Bundessteuer läuft Ende 1994 aus. Obwohl die Einführung einer neuen
Finanzordnung am 2. Juni 1991 abgelehnt worden ist, bleibt unbestritten, dass der Bund
nicht auf seine beiden Hauptsteuern verzichten kann, die über die Hälfte seiner
Einnahmen ausmachen. Primäres Ziel der neuen Vorlage ist es deshalb, das Aufkommen der
Warenumsatzsteuer und der direkten Bundessteuer über 1994 hinaus sicherzustellen.
Der Bundesrat erachtet eine Umgestaltung der direkten
Bundessteuer nicht als angezeigt. Bei der Warenumsatzsteuer kann dagegen längerfristig
nicht über schwerwiegende Mängel ihrer heutigen Ausgestaltung hinweggesehen werden. Die
neue Verfassungsbestimmung räumt deshalb den notwendigen Spielraum ein, abgesehen vom
Steuersatz, eine moderne, EG-konforme Umsatzsteuer auf Waren und Dienstleistungen zu
schaffen. An der verfassungsmässigen Verankerung der Höchstsätze wird aus
referendumspolitischen Gründen festgehalten. Auf eine Befristung der Umsatzsteuer und der
direkten Bundessteuer soll dagegen inskünftig verzichtet werden.
Mit einem separaten Bundesbeschluss sollen ferner die
verfassungsmässigen Grundlagen für die Umwandlung der Fiskalzölle in besondere
Verbrauchssteuern geschaffen werden.
Verhandlungen
NR |
17.03.1993 |
AB 1993, 329 |
SR |
02.06.1993 |
AB 1993, 314 |
NR |
16.06.1993 |
AB 1993, 1325 |
SR |
17.06.1993 |
AB 1993, 539 |
NR |
18.06.1993 |
Schlussabstimmungen (98:30 / 127:15 / 122:11 /
130:4) |
SR |
18.06.1993 |
Schlussabstimmungen (38:1 / 35:3 / 36:0 /
39:0) |
Mit 104 gegen 13 Stimmen und zahlreichen Enthaltungen
heisst der Nationalrat am 18. März als Erstrat den Entwurf für die neue
Finanzordnung, wie sie von der Kommission vorgeschlagen wird, gut, ohne grundlegende
Änderungen anzubringen. Diese - erneut zeitlich, d.h. bis Ende 2006 befristete - Vorlage
sieht den direkten Übergang von der WUSt zur MWSt mit einem Normalsatz von 6,5% vor. Im
Mittelpunkt der Diskussionen stand der Steuersatz: Während die Bürgerlichen einen
möglichst niedrigen Satz anstrebten, forderte die Linke einen Satz von 6,8 oder 7% mit
dem Ziel, damit einen Beitrag an die Sanierung des Bundeshaushalts zu leisten. Der von der
Kommission beantragte Satz von 6,5% stellt somit nur einen Kompromiss dar, der vor allem
von den nicht im Bundesrat vertretenen Parteien angefochten wurde.
Die hauptsächlichen, vom Nationalrat verworfenen
Änderungsanträge waren: der Antrag Spielmann (PdA, GE), die zeitliche Befristung in der
Bundesverfassung aufzuheben (80 gegen 23 Stimmen); der Antrag Gros (L, GE) zugunsten eines
Normalsatzes von 6,2% (110 gegen 48 Stimmen); der Antrag der Liberalen Partei und der
Autopartei auf eine verfassungsmässige Verankerung des Prinzips, in Zukunft jede
Erhöhung des MWSt-Satzes mit einer entsprechenden Entlastung bei der direkten
Bundessteuer zu verbinden (102 gegen 35 Stimmen); der Antrag Wyss (R, BS), dem Volk die
Möglichkeit zu geben, zwischen den beiden MWSt-Sätzen von 6,2% und 6,5% zu wählen
(abgelehnt unter Namensaufruf mit 88 zu 86 Stimmen und 4 Enthaltungen); der Antrag Thür
(G, AG), eine Verfassungsgrundlage zu schaffen im Hinblick auf die Erhebung ökologischer
Abgaben auf Energieträgern und anderen natürlichen Ressourcen (89 gegen 40 Stimmen). Mit
76 gegen 59 Stimmen angenommen wurde der Antrag Blatter (C, OW), wonach der Steuersatz
für bestimmte, vor allem von Ausländern in Anspruch genommene Dienstleistungen (z.B.
Hotellerie) nötigenfalls durch die Legislative gesenkt werden kann. Ein weiterer
umstrittener Punkt war die im Falle einer Annahme der MWSt einzuführende soziale
Komponente im Umfang von 550 Millionen Franken (5% des MWSt-Ertrags) zur Entlastung
bescheidener Einkommen und insbesondere kinderreicher Familien. Sandoz (L, VD) und
Bortoluzzi (V, ZH) sprachen der sozialen Abfederung die Berechtigung ab und wollten diesen
Artikel aus der Vorlage streichen, weil er nach ihrer Auffassung für die Einführung der
MWSt nicht nötig sei. Dieser Antrag wurde aber mit 90 gegen 30 Stimmen verworfen. In der
Gesamtabstimmung mit 77 gegen 25 Stimmen gutgeheissen wurde die Möglichkeit des
Parlamentes, den MWSt-Satz für AHV/IV-Bedürfnisse um maximal einen Prozentpunkt zu
erhöhen. Mit 67 gegen 41 Stimmen definitiv abgelehnt wurde die Schaffung eines
zusätzlichen Bundesbeschlusses für die Erhebung einer Energiesteuer. Der Umwandlung der
Fiskalzölle in besondere Verbrauchssteuern wurde einhellig zugestimmt.
Am 2. Juni stimmt auch der Ständerat dem Wechsel
von der WUSt zur MWSt zu. Indem er sich in den meisten Punkten seiner Kommission
anschliesst, schafft er allerdings verschiedene Differenzen zu den Beschlüssen des
Nationalrates: Trotz des deutlich zum Ausdruck gebrachten Widerstandes des Bundesrates
spricht sich der Ständerat mit 28 zu 4 Stimmen (darunter die Sozialdemokraten) für eine
Zweiteilung der Vorlage aus: Demnach soll das Volk einerseits über den Wechsel von der
WUSt zur MWSt entscheiden und andererseits zwischen den beiden Sätzen (6,2% oder 6,5% )
wählen können; die Sozialkompensation von rund 500 Millionen Franken soll nicht mehr
kinderreichen Familien mit bescheidenem Einkommen zugutekommen, sondern der
Arbeitslosenkasse zufliessen (30 gegen 8 Stimmen). Mit 19 zu 14 Stimmen übernommen wird
die vom Nationalrat vorgeschlagene Möglichkeit des Gesetzgebers, für
Tourismusleistungen, die in erheblichem Masse durch Ausländer beansprucht werden, einen
niedrigeren Satz festzulegen. Mit 29 zu 2 Stimmen ebenfalls zugestimmt wird der
Möglichkeit, im Bedarfsfall den Satz zugunsten der AHV um einen Prozentpunkt zu erhöhen.
Diese Möglichkeit und die Umwandlung der Fiskalzölle in besondere Verbrauchssteuern
sollen Gegenstand separater Abstimmungsvorlagen sein.
Am 16. Juni schliesst der Nationalrat sich mit 109
zu 62 Stimmen der Idee des Ständerates an, eine MWSt-Vorlage mit zwei Sätzen
vorzuschlagen. Unnachgiebig bleibt er indessen bei der Frage der Sozialkomponente: Sie
soll unbefristet in der Verfassung verankert sein und die 500 Millionen Franken (5% des
MWSt-Ertrags) sollen während der ersten fünf Jahre zur Verbilligung der
Krankenkassenprämien von Familien mit kleinem Einkommen verwendet werden und nicht zur
Verminderung des Defizits der Arbeitslosenversicherung.
Am 17. Juni schliesst der Ständerat sich mit 38
gegen 1 Stimme dem Beschluss des Nationalrates an und räumt damit die letzte Differenz
aus.
In der Schlussabstimmung vom 18. Juni werden die vier
verschiedenen Bundesbeschlüsse angenommen: der Bundesbeschluss über die Finanzordnung
(Umwandlung der WUSt in eine MWSt zum Satz von 6,2% und Weiterführung der Geltungsdauer
von MWSt und DBSt bis Ende 2006); der Bundesbeschluss über einen Beitrag zur Gesundung
der Bundesfinanzen (Erhöhung des MWSt-Normalsatzes von 6,2 auf 6,5%); der Bundesbeschluss
über Massnahmen zur Erhaltung der Sozialversicherung (Möglichkeit, den Satz zugunsten
der AHV um ein Prozent zu erhöhen) sowie der Bundesbeschluss über besondere
Verbrauchssteuern (Umwandlung der Fiskalzölle in Verbrauchssteuern).
Da die Bundesbeschlüsse Verfassungsänderungen erfordern,
benötigten sie die Zustimmung von Volk und Ständen. An der Volksabstimmung vom 28.
November 1993 werden alle vier Bundesbeschlüsse angenommen. (vgl. Anhang G)
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